Wydanie/Ausgabe 126/10.09.2023

   

Im Gedenken an die Volksabstimmung am 20. März 1921

1919 Das von den Alliierten als Kriegsziel formulierte Selbstbestimmungsrecht der Völker wird von Wilson anders als von Lenin verstanden und praktiziert.

Die neuen Staaten Osteueropas verlangen alle Rechte für ihre eigenen Staatsvölker. Polen, Tschechen, Serben, Rumänen verweigern aber nun ihren Minderheiten diese Rechte, vor allem den lang eingesessenen Deutschen. Die deutsche Armee löst sich an allen Fronten auf: Im Land beginnen soziale Auseinandersetzungen, neue und alte Parteien streiten um die Macht in der neuen Republik Deutschland.

1919 (7.Mai) In Versailles wird der deutschen Delegation das Friedensdiktat übergeben. Danach soll ohne Abstimmung Oberschlesien an Polen fallen. Die daraufhin von der Reichsregierung verlangte Abänderung des Vertrages zugunsten einer Volksabstimmung wird schließlich von den Alliierten angenommen.

Zu verdanken ist diese einzige größere Korrektur des Versailler Diktates dem englischen Ministerpräsidenten Lloyd George, der nachdrücklich die Selbstbestimmung auch für die Oberschlesier verlangt. Er stand gegen den unzureichend orientierten amerikanischen Präsidenten T.W. Wilson und gegen den französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau, der im Interesse seiner Nation eine Schwächung Deutschlands anstrebte – zugunsten Polens, das er damit zugleich als Bollwerk gegen das bolschewistische Russland stärken wollte.

1919 (28. Juni) In Versailles wird das Friedensdiktat unterzeichnet. Die damit zu Lasten des deutschen Oberschlesiens dokumentierte Fehlentscheidung wird später auch von ausländischen Politikern und Historikern als ein Ausgangspunkt für das Erstarken der Sowjetunion, den Verlust der polnischen Freiheit im Zuge des Zweiten Weltkrieges und seiner Folgezeit und für die Bedrohung Westeuropas bis fast zum Ende des Jahrtausends angesehen.

1919 (17. August) Polen versucht mit Gewalt durch Aufstände die Entwicklung in Oberschlesien zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Der e r s t e A u f s t a n d gesteuert von der militärischen Befehlsstelle in Sosnowitz, jenseits der neuen Grenze, wird durch den deutschen Grenzschutz schnell beendet. Der z w e i t e A u f s t a n d wird nur noch von der deutschen Sicherheitspolizei bekämpft. Die Verluste der deutschen Bevölkerung betragen 150 Tote, die deutsche Siedlung Anhalt wird von den Polen niedergebrannt. Folgen sind u.a.; Auflösung und Abschiebung der verbliebenen deutschen Sicherheitspolizei durch die Franzosen, Entwaffnung der deutschen Bevölkerung, zunehmende Bedrohung und Verängstigung der Deutschen, vor allem auf dem Lande.

1919 (14.Oktober) Ein preußisches Gesetz konstituiert eine Provinz Oberschlesien.

1920 (11. Februar) Die Interalliierte Regierungs- und Plebiszitkommission übernimmt die Macht in Oberschlesien mit Sitz in Oppeln. Bereits am 27. Januar rücken französische Truppen nach Abzug des deutschen Grenzschutzes in oberschlesische Städten ein. Insgesamt 15.000 alliierte Soldaten – 13.000 Franzosen, 2000 Italiener und einige englische Einheiten – kommen in das Abstimmungsgebiet. Von dem man – außer dem der Tschechoslowakei abgetretenen Hultschin – die Kreise Neiße, Neustadt und Falkenberg ausgeschlossen hatte.

Ihre hundertprozentige deutsche Bevölkerung hätte das Abstimmungsergebnis noch eindeutiger zugunsten Deutschlands entschieden. Die leitenden deutschen Verwaltungsbeamten müssen Oberschlesien verlassen. Der französische General Bonnet übernimmt die oberste Polizeigewalt.

Die Steuerung der polnischen Aktion liegt in den Händen von Wojciech Korfanty, der 1903 als erster polnischer Abgeordneter in den deutschen Reichstag entsandt worden war; gewählt auch mit den deutschen Stimmen in knapper Mehrheit gegen den deutschen Zentrumskandidaten.

1920 (15.Juli) Polen nimmt in seine Verfassung Bestimmungen über eine autonome Wojwodschaft Schlesien auf. - April-Okt.1920 Einmarsch der Polen in die Sowjetunion.

1920 (27. November) Der Reichstag in Berlin ändert die Reichsverfassung in Artikel 167 dahin, dass die Oberschlesier nach der Abstimmung selbst entscheiden sollen, ob ein eigenes Land Oberschlesien zu bilden sei. Diese Wahl fand am 3. September 1922 in Deutsch-Oberschlesien statt; nicht ganz 10 Prozent wollten ein eigenes Land Oberschlesien. Über 90 Prozent votierten: Oberschlesien soll weiter eine eigene preußische Provinz bleiben.

1920 (30.Dezember) für die kommende Abstimmung wird als wahlberechtigt erklärt:

a) wer 20 Jahre alt ist, b) wer in Oberschlesien (O/S) lebt oder dort geboren ist, c) wer nicht in O/S geboren ist, aber vor dem 1.1.1904 zugezogen ist.

1921 Mit Jahresbeginn verstärken beide Seiten ihre Propaganda, die vom Plakat bis zur Kirchenkanzel reicht. Polen verspricht den Bauern eigenes Land aus dem zu enteignenden deutschen Grundbeseitz, den Arbeitern Sozialisierung der deutschen Gruben und Industriebetriebe, Beamten und Lehrern werden leitende Stellen in Aussicht gestellt, der Jugend Befreiung vom polnischen Militärdienst zugesagt. Deutschland erinnert an den Aufstieg Oberschlesiens durch seine Zugehörigkeit zu Preußen und warnt vor dem unvermeidbaren Absinken des Lebensstandards bei einem Übergang zu Polen.

Aus dem Reich kommen etwa 170.000 gebürtige Oberschlesier, um ihr Wahlrecht auszuüben.

1921 (20.März) Tag der Abstimmung

Am relativ ruhig verlaufenden Abstimmungstag gehen 97 Prozent der Berechtigten zur Urne

1.223169 Wähler, 1.186.342 gültige Stimmen, davon entfielen auf: Polen 479.349, auf Deutschland 706.993, ungültig 3874.

Von den einzelnen Kreisen hatte sich Leobschütz einmütig für Deutschland entschieden, der Kreis Kreuzburg mit 96 Prozent! Obwohl sich dort bei der Volkszählung im Jahr 1910 nur 46 Prozent der Bewohner als deutschsprachig erklärt hatten.

In den beiden Kreisen mit einer polnischen Mehrheit – Rybnik und Pleß - wirkten sich offensichtlich unbefriedigende soziale Verhältnisse aus. Alle Städte hatten deutsche Mehrheiten, so z.B. Kattowitz Oppeln Ratibor

Deutsch 22774 20816 22291

Polnisch 3.900 1098 2227

Um trotz der Wahlentscheidung zu einem polnischen Erfolg zu kommen und die bestimmen-den Interalliierten zu beeindrucken, greift Polen erneut zur Gewalt.

E i n d r i t t e r A u f s t a n d wird befohlen.

1921 (3.Mai) In der Nacht greifen die Insurgenten (Eindringlinge) schlagartig nach einem detaillierten Plan wieder zu den Waffen und besetzen Oberschlesien etwa bis zur Oderlinie. Die Städte im Industriegebiet, die wie z.B. Beuthen keine französischen Stadtkommandanten haben, bleiben als eingeschlossene, kaum verteidigte Inseln unbesetzt. Militärischer Führer der Aufständischen ist der aus Posen stammende Graf Mielzynski, früherer deutscher Rittmeister. Sein Deckname: Nowina Doliwa.

Die französischen Truppen unter Führung General Le Rond unternehmen praktisch nichts

gegen die Insurgenten zum Schutz der deutschen Bevölkerung. Ihre Untätigkeit ist Anlass für Lloyd George, nun sechs englische Bataillone nach Oberschlesien zu entsenden.

Die italienischen Truppen treten den Insurgenten entgegen und haben dabei erhebliche Verluste: über vierzig Tote und hunderte Verwundete.

Bei Aufstandsbeginn gibt es nur eine schwache örtliche deutsche Abwehr. Sehr schnell entsteht aber, verstärkt durch Freiwillige aus ganz Deutschland – so aus Bayern das Freikorps Oberland, der oberschlesische Selbstschutz unter Führung des Generals a.D. Höfer.

1921 (21.Mai) Nach Festigung seiner Verbände – etwa 20.000 Mann gegenüber der doppelten Anzahl polnischer Aufständischer- wird der Selbstschutz offensiv und stürmt den Annaberg, den Symbol-Berg Oberschlesiens.

Politische Überlegungen und französische Intervention verhindern eine militärische Ausnutzung der polnischen Niederlage zu einer von der Truppe geforderten Fortsetzung des Vormarsches in Richtung Gleiwitz, um die eingeschlossenen Städte des Industriegebietes zu befreien.

Der französische Kommandierende General Le Rond erzwingt schließlich im Auftrag von Paris Rückzug und Auflösung des Selbstschutzes und dann auch der Insurgentenverbände. Der englische Repräsentant Oberst Percival tritt aus Protest gegen das einseitige Verhalten von Le Rond von seinem Posten zurück.

1921 (20. Oktober) Die Botschafterkonferenz in Paris übermittelt der deutschen Reichsre-gierung den Entschluss der Regierungen Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Japans

nach Einholung eines Gutachtens des Völkerbundes- Oberschlesien zu teilen. Angeschlossen sind detaillierte Anweisungen, um die amputierten Teile, vor allem des oberschlesischen Industriegebietes, am Leben zu erhalten. Eine „Gemischte Kommission“ soll Streitfragen regeln und die Minderheiten schützen. An Polen fallen durch diese Teilung: 74 % der Steinkohlen, 96% der Eisenerz und 82% der Zinkerz-Förderung.

Mit ihrer vom japanischen Vertreter verkündeten Entscheidung, das gewachsene Oberschlesien gegen den Mehrheitswillen zu teilen, setzte die Interalliierte Botschafterkonferenz „Meilensteine auf dem Weg, der in den folgenden Jahren Deutschland, Polen und Europa ins Verderben geführt hat.“

1922, ab 15. Juni übernehmen das Deutsche Reich und Polen die ihnen zugesprochenen Gebiete. Durch den Bruch des Selbstbestimmungsrechts wurden in dem Polen zugeschlagenen Teil Oberschlesiens über 400.000 Deutsche willkürlich zu polnischen Staatsbürgern gemacht, die als Minderheit fortan allen Schikanen bis hin zu Gewalttätigkeiten ausgesetzt waren und deren Proteste weder bei der polnischen Regierung noch bei den Siegermächten des Ersten Weltkrieges Gehör fanden. Die vertraglich zugesicherten Minderheitsrechte wurden nicht eingehalten und standen nur auf dem Papier. Infolge der Drangsal flüchteten aus dem abgetrennten Teil Oberschlesiens etwa 100.000 Deutsche, die im Reichsgebiet Aufnahme fanden.

Während im polnisch gewordenen Oberschlesien die Partei- und Volkstumskämpfe in unverminderter Schärfe fortgesetzt wurden und die früher hochstehende Industrie beinahe zum Erliegen kam, erlebte die deutsche Provinz Oberschlesien einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Ihre meist bodenwüchsige Führung verstand es mit ihrer Versöhnungspolitik auch die zeitweise polnisch gesinnt gewesenen Bevölkerungsteile zu befrieden und zu aktiver Mitarbeit am deutschen Aufbau zu gewinnen.

1937 (5. November) deutsch-polnische Vereinbarung zur Behandlung ihrer Minderheiten

1939 (April) Polen beteiligt sich an der Besetzung der Tschechoslowakei (Olsagebiet)

(22.Juni) „Beendigung der deutschen Sprache bei allen kirchlichen Handlungen“ in der ostoberschlesischen Diözese Kattowitz, durch den polnischen Bischof S. Adamski.

(27.Juli) Im Gegenzug ergeht auf Druck der Nazi-Behörden ein Predigtverbot in polnischer Sprache durch Adolf Kardinal Bertram für die Erzdiözese Breslau, zu der Oberschlesien gehört.

1940 (Ende Juni) Wallfahrt auf den „Sankt“ Annaberg von über 120.000 Männern.

1942 Gesetz über die Bildung einer Provinz Oberschlesien

1945 (Mitte Januar) Besetzung von O/S durch sowjetische Truppen, Beginn der Flucht

(Juni) Anwendung der polnischen Enteignungs- und Vertreibungsdekrete lange vor der Potsdamer Konferenz. Beginn der Austreibung, Internierung und Deportation der Deutschen. (lt. Bundesamt Wiesbaden kamen dabei 386.870 schlesische Menschen ums Leben). Verbleib sogenannter Autochtonen als notwendige Arbeitskräfte, striktes Verbot der deutschen Sprache, Verwüstung fast sämtlicher Friedhöfe und Ausmerzung deutscher Inschriften auf Grabsteinen und in Kirchen.

1952/53 Strafversetzung von 20 deutschen Priestern und 1000 Ordensfrauen aus O/S

1970er Jahre Verweigerung der Ausreise trotz zwanzig bis dreißig Ausreiseanträge

1981 und während des polnischen Kriegsrechtes millionenfache Pakethilfe von Deutschen

1983-1989 kulturelle Zusammenkünfte der verbliebenen Deutschen (1,5 Millionen geschätzt in ganz Polen) und Bedrohung durch die polnische Miliz – Sammlung von 120.000 Unterschriften zwecks Zulassung deutscher Vereine und Beweis einer deutschen Bevölkerung (bis zum Bundeskanzler-Kohl-Besuch 1990 in Warschau erhöht auf 250.000 Unterschriften)

1987 (November) Verweigerung des poln. Innenministeriums Schulunterricht in Deutsch.

1987-1990 Der Exodus von über 500.000 Aussiedlern aus der Volksrepublik Polen wirkt wie ein Fanal der Freiheit auch für die Menschen in der früheren DDR und ist der erste Impuls zum Beginn der „Deutschen Einheit“

1989 (4. Juni) Wiedereinsetzung des Gottesdienstes in deutscher Sprache auf dem Sankt Annaberg auf Veranlassung des Bischofs von Oppeln, Prof. Alfons Nossol.

April 1990 Zulassung der Deutschen Freundschaftskreise im Oppelner Schlesien nach jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen.

1990/91 Grenzvertrag und Nachbarschaftsvertrag zwischen Deutschland und Polen. Wahlen zum polnischen Parlament (Sejm) und Entsendung von sieben Abgeordneten der deutschen Minderheit (seit 2001 zwei Abgeordnete und seit 2007 einer)

1990-2000 Ringen der Oberschlesier um ihre eigene Identität (insbesondere der deutschen Sprache im Schulunterricht, bis 2008 keine eigene deutschsprachige Schule) Enttäuschung über geringes Interesse und Engagement der Westdeutschen. Erfolgreiche Mitwirkung bei der Verwaltungsreform in Polen. Wahl von Hunderten deutschen Gemeinderäten und etlichen Bürgermeistern und Landräten in die Kommunalparlamente, gedeihliche Zusammenarbeit mit den zugezogenen Polen. Entwicklung grenzüberwindender Beziehungen von beiden Seiten, z.B. gemeinsame Briefmarke zum 750. Todestag der Heiligen Hedwig (Oktober 1993) Wachsendes Interssse kritischer Polen an schlesischer Geschichte.

1998 (Juli) 434 Abgeordnete im Sejm (2 Enthaltungen, 2 Nichtteilnehmer) kritisierten die Entschließung des Bundestags vom 29.Mai für die Rechte der Heimatvertriebenen.

1999-2000 Beeinträchtigung der Hoffnung auf vertrauensvolle Partnerschaft durch eine Gruppe um den Sejm-Abgeordneten (PSL) Janusz Dobrosz/Breslau. Unter dem Reizwort

drohende Germanisierung“ versuchen sie die wachsende positive Einstellung in Kirche

und Gesellschaft zur deutschen Minderheit zu stören, die Vertreibung zu rechtfertigen.

2001 (11.Januar) Reprivatisierungs-Gesetz vom polnischen Parlament angenommen, in welchem Rückgabe oder Entschädigungsanspruch der zwangsenteigneten Deutschen ausgeschlossen ist. – Verstoß gegen internationales Recht und gegen das Grundgesetz – wird von der Bundesregierung stillschweigend hingenommen.

2002 Volkszählung in Polen: Es bekennen sich 152.900 Deutsche, 173.200 Oberschlesier, 774.900 Personen weigerten sich eine Nationalität anzugeben.204.600 Personen gaben an zu Hause deutsch zu sprechen, daneben bekannten sich noch 15 andere Minderheiten.

2004 (11.11.) Der Verband der Polnischen Pfadfinder popularisiert im Fernsehen TVP 2 ein Liederbuch mit Hass gegen die Deutschen (z.B. „Rota“)

2005 ehem. poln. Aussenminister Adam Rotfeld: „Erinnerung ist ein Prozess. Verantwortung wird nicht vererbt“

2005 (25.1.) die poln. Abgeordneten R.u.M.Giertych meinen in der SZ : „mit dem Transfer der deutschen Bevölkerung sei die historische Gerechtigkeit wiederhergestellt, die urpolnische Erde zum Mutterland zurückgekehrt“.

2005 (Febr.) Erzbischof Nossol: „Die Deutsche Minderheit, die Minderheiten überhaupt, werden bei uns nur toleriert – friedvoll akzeptiert werden sie aber nicht“

2007(25.6.) Außenminister Frank-Walter Steinmeier: „Historische Wahrheit ist Vorauszung für Wiederannäherung und gesellschaftliche Versöhnung“.

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