Wydanie/Ausgabe 131/04.04.2024

Frank Sommer-Desmarets hat seinen Vater nie kennengelernt. Er starb in der Kasseler Bombennacht im Jahr 1943. Sein Sohn kämpft nun um die letzte Ehre seines Vaters.

Seinen Vater hat der 75-jährige Frank Sommer-Desmarets nie kennengelernt. Der hieß Marcel, war Franzose und starb in der Kasseler Bombennacht vom 22. Oktober 1943. In der vorhandenen Liste der Opfer taucht der Name Marcel Desmarets bisher nicht auf. Sohn Frank setzt sich dafür ein, dass das nachgeholt wird.

Doch wie hat es den Franzosen Marcel Desmarets überhaupt nach Kassel verschlagen? Geboren wurde er 1915 in Versailles vor den Toren von Paris. Die Männer der Familie arbeiteten damals beim Autobauer Citroën, Marcel machte eine Ausbildung als Technischer Zeichner. Als junger Mann wurde er zum Militär einberufen.

Marcel Desmarets erlitt eine Schussverletzung am Ellenbogen

Er zog sich im 2. Weltkrieg in den Ardennen eine Schussverletzung am Ellenbogen zu. Als Hitlers Wehrmacht Paris besetzte, warben die Deutschen um Arbeitskräfte. Und zwar mit einem Versprechen. „Für jeden, der sich freiwillig meldete, sollten fünf französische Kriegsgefangene freigelassen werden“, sagt Frank Sommer-Desmarets. Er hat die Familiengeschichte so genau wie möglich recherchiert. Sein Vater habe sich damals gemeldet und sei ab 1942 zunächst bei Siemens und Halske in Berlin beschäftigt gewesen. Warum er von dort nach Kassel zu Henschel wechselte, ist nicht bekannt.

Fest steht allerdings, dass Marcel Desmarets bei dem Großunternehmen, das unter anderem Lokomotiven und Panzer produzierte, mehrere Monate gearbeitet hat. Im Gegensatz zu vielen Zwangsarbeitern hatte er eine Adresse als Mieter. Gemeldet war Marcel Desmarets in der Mauerstraße, mitten in der Kasseler Altstadt.

Dort lernte er die damals 19-jährige Annegret Sommer kennen. Die hatte gerade eine Lehre gemacht und war als Schaffnerin für die Kasseler Verkehrsgesellschaft (KVG) dienstverpflichtet worden. Ihre Beziehung zu einem Franzosen blieb nicht unbeobachtet. „Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie und auch mein Vater zu Verhören bei der Gestapo abgeholt wurden“, sagt Frank Sommer-Desmarets. Soweit ihm bekannt sei, habe das allerdings keine weiteren Konsequenzen gehabt.

In der Kasseler Bombennacht starben vermutlich 10.000 Menschen

Im Kasseler Stadtarchiv gibt es einen Eintrag, nach dem Marcel Desmarets ab dem 1. Oktober 1943 mit der Adresse Mauerstraße 11 gemeldet war. Drei Wochen später wurde die Kasseler Altstadt bei dem für die Stadt folgenschwersten Angriff in Schutt und Asche gelegt.

Meine Mutter war dazu eingeteilt, Opfer zu bergen und nach Möglichkeit zu identifizieren“, sagt Frank Sommer-Desmarets. Die junge Frau suchte verzweifelt nach dem Vater ihres ungeborenen Kindes. Sollte der wie so viele andere in einem Luftschutzkeller ums Leben gekommen sein, war er möglicherweise bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Das haben viele überlebende Augenzeugen so berichtet. Die schwangere 19-Jährige suchte jedenfalls vergeblich.

Mit ihren ebenfalls ausgebombten Eltern zog sie nach Kirchhain bei Marburg, wo Frank Sommer-Desmarets im Mai 1944 geboren wurde. Er ist in Marburg zur Schule gegangen und hat dort auch viele Jahre gelebt, bevor er mit seiner Familie nach Koblenz zog. „Meine Großeltern väterlicherseits habe ich erst 1959 kennengelernt“, sagt er. Die hätten sich sehr über den Enkel, von dem sie zunächst nichts wussten, gefreut. Für den in Kassel verstorbenen Sohn hatten sie 1943 einen Gedenkgottesdienst organisiert.