Wydanie/Ausgabe 131/04.04.2024

Spätestens nach dem Deutsch-Französischen Krieg verbreitete sich das Nationalbewusstsein auch unter den einfachen Leuten, auch unter den Wasserpolacken, und der Anteil derer, die sich, weiterhin polnisch sprechend, doch für Deutsche hielten, wuchs beständig bis in die Hitlerzeit; ja, sogar danach. Dieses Phänomen entspringt der Behandlung der Wasserpolaken durch die ab 1945 neuen Herren im Lande, die Polen.Als nächstes hielt die Geschichte den Ersten Weltkrieg für die Europäer bereit, der nicht zuletzt, wie andere Katastrophen der Weltgeschichte auch, ein grandioser Fehltritt der politisch Verantwortlichen war. Die letzten seiner Teilnehmer starben bis 1980 weitestgehend aus. Ich kannte noch eine ganze Reihe von ihnen, manchen fehlten wichtige Körperglieder.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg wuchs in Oberschlesien eine Bewegung, die polnisch orientiert war. Deren politischer Führer war ein gewisser Adalbert Korfanty, ein Reichstagsabgeordneter; seine Gegenspieler waren Otto Ulitzka und Kurt Urbanek. Diese Bewegung war am stärksten in Ostoberschlesien, allerdings außerhalb der Industriestädte, die ja mehrheitlich von Deutschen besiedelt waren, die die Ober- und Mittelschicht stellten. Im August 1919 kam es zum ersten bewaffneten Aufstand der polnischen Oberschlesier. Die Rebellion dauerte 10 Tage und beschränkte sich auf das Grenzgebiet zu dem neu entstandenen polnischen Staat.

Ebenfalls im August 1920 kam es zum nächsten Aufstand, der schon größere Teile Oberschlesiens erfasste, der aber nur 7 Tage währte. Diese beiden Bürgerkriege waren völlig unnötig, wohl als Druckmittel gedacht, denn im Mai 1919 wurde im Versailler Vertrag beschlossen, dass u.a. auch in Oberschlesien eine Volksabstimmung statt zu finden hat, und zwar zum Zwecke der Entscheidung, ob die Provinz Polen zugeschlagen oder weiterhin bei Deutschland verbleiben soll.

Das Plebiszit fand am 20 März 1920 statt. Das Ergebnis fiel mit 59,6 % der Stimmen zugunsten Deutschlands aus. Darauf hin brach am 2.05.1921 erneut ein Aufstand der Polen aus, die nicht bereit waren, das Ergebnis zu akzeptieren. Es erfasste etwa 2/3 des Landes und war blutig, die größte Schlacht dieses Waffenganges fand am Annaberg, dem heiligen Ort der Oberschlesier, statt. Wie im Krieg üblich, kam es auf beiden Seiten zu Verbrechen. Daraufhin beschlossen die Siegermächte Oberschlesien zwischen Deutschland und Polen zu teilen. Polen erhielt den kleineren, allerdings an Bodenschätzen und Industrie reicheren Teil, der Rest – im wesentlichen das waldreiche Gebiet um Oppeln und nördlich der Industriestadt Gleiwitz – blieb bei Deutschland.

Sowohl in der polnischen Historiographie als auch Kunst und Literatur finden bis heute die Wasserpolacken, die deutsch gesinnt waren, oder sich gar für Deutsche hielten, und in den Aufständen gegen ihre Landsleute kämpften, keine Erwähnung.

Es folgte die Weimarer Republik und das Oppelner Land machte alles durch, was diese auszeichnete. Im November 1932 wählte man in Oberschlesien, als in einzigem Wahlkreis östlich des Rheins und außerhalb Südbayerns noch die Zentrumspartei. Vier Monate später, wie im übrigen Reich mit Ausnahme zweier Wahlkreise in seinem äußersten Westen, schon die NSDAP. Das war es, danach gab es zwar noch Veranstaltungen, die „Wahlen“ genannt wurden, es herrschte aber der Führer, der Wahn und das Schrecknis des Zweiten Weltkrieges.

Im Januar 1945 betraten die sowjetischen Truppen Oberschlesien und in ihrem Gefolge die Polen, denen es in Jalta von den „Großen Drei“ zugeteilt wurde. Um zu wissen, wie sich so genannte „Befreier“ in eroberten Gebieten benehmen, brauchen wir nicht in die Vergangenheit zu blicken, sondern es wird uns klar, wenn wir den Mut aufbringen, und uns das Treiben der heutigen „Freiheitskämpfer“ in so manchem Land, vor allen Dingen in Afrika, anschauen. Wohlgemerkt, blieb den Wasserpolacken vermutlich das Schlimmste erspart, gaben sie sich doch angesichts der drohenden Gefahr als Polen aus; es half in so manchem Fall. Die Oberschlesier, die des Wasserpolnischen nicht mächtig waren, flohen fast alle vor der anrückenden Front.

Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Herren im Lande war das Einrichten von Lagern. Wenn wir uns darauf einigen, dass in einem Konzentrationslager nicht unbedingt Krematorien qualmen müssen, dann waren das Konzentrationslager, herrschten in ihnen doch Hunger, Krankheit, Schläge Folter und Demütigung. Theoretisch waren sie gedacht für Menschen, die sich in verbrecherischer Weise in den besetzten Gebieten Europas an den Unterworfenen vergangen haben.

Die Praxis sah anders aus, jeder konnte sich dort wiederfinden, Erwachsene wie Kinder, Polen und Deutsche, Schuldige und Unschuldige. So war die Wahrscheinlichkeit für eine wohlsituierte Bauernfamilie, deren Hof einem zugezogenen Polen ins Auge fiel, in so einem Lager zu landen viel höher, als für einen kleinen Aktivisten des NSDAP Regimes, der sich keiner Unmenschlichkeit schuldig machte, weswegen er auch von der Bevölkerung nicht denunziert wurde. Im Prinzip aber wurden all die Ortsbauernführer, Schultheiße und NSDAP Mitglieder in diesen Lagern aber auch in Gefängnissen eingesperrt. Manche verschwanden auf nie Wiedersehen, viele von ihnen wurden geschlagen und gefoltert, andere wiederum nicht, hängt doch solches von dem Grad der Menschlichkeit der Bewacher und sonstiger „Gerechtigkeitsbringer“ ab.

Das bekannteste, auch das schrecklichste, der Nachkriegslager in Oberschlesien war Lamsdorf, das vom Juni 1945 bis Oktober 1946 existierte. Viele wasserpolnische Oberschlesier, und zwar ohne Rücksicht auf ihr subjektiv empfundenes Nationalbewusstsein wurden nach Russland verschleppt, wenige kamen zurück. Oberschlesien wurde der Kolonisation durch Polen frei gegeben, wodurch die Wasserpolaken beiderlei Nationalität zu Minderheit im eigenen Lande wurden.

Nach dem Krieg bekamen die Wasserpolaken, die nicht ausgesiedelt wurden – denn auch solche gab es – gemäß dem Völkerrecht die polnische Staatsbürgerschaft zuerkannt. Wer sie auf Anhieb nicht haben wollte, der wurde vielleicht nicht sofort mit dem Gummiknüppel traktiert, allerdings mit diesem bedroht. Angesichts solcher „Argumente“ gibt, wer klug ist, nach. Die wenigen Söhne Oberschlesiens, die aus der Gefangenschaft der westlichen Alliierten in die Heimatgefilde zurückkehrten – die meisten blieben in Westdeutschland – wurden zum Teil ebenfalls nach Russland verschleppt, denn die Gefangenschaft, die sie schon hinter sich hatten, war „zu kurz“ in der Lesart der Russen.

Fortan waren die Wasserpolaken nicht selten als Bürger zweiter Klasse behandelt, gehänselt, gedemütigt, des Treibens zugunsten der „westdeutschen Revanchisten“ verdächtigt. Ihre archaische Sprache wurde verlacht. Diese Zustände, wenn auch in abgeschwächter Form, dauern bis heute an.

Sonst ist über die Polen, durchaus mit Recht, wie ich meine, viel Positives und Gutes zu hören, aber nicht von mir. Aufgrund der in meiner Kindheit und Jugend erfahrenen Demütigungen und Ablehnung bin ich da eher der advocatus diaboli, wie schon der oben erwähnte Heinrich Heine, der in seinem Gedicht „Zwei Ritter“ den damals schon überhöhten Ruhm der polnischen Aufständischen von November 1830 bis Oktober 1831 auf dem Beispiel einiger nach Paris geflohener Freiheitskämpfer ironisch auf die Schippe nimmt. Das hindert mich nicht daran, eine große Freude über die Wiedervereinigung Deutschlands und den mit ihr verbundenen Freundschaftsverträgen zwischen diesem und Polen zu empfinden. Wenn ich auch die polnischen Forderungen nach Reparationen für bedrohlich halte, ist doch ein Krieg zwischen diesen beiden Staaten undenkbar, Gott sei Dank. Möge zumindest dieser Umstand einen ewigen Bestand haben.

Zwischen 1950 und 1992 kam eine nicht unerhebliche Anzahl der Wasserpolaken als so genannte „Spätaussiedler“ nach Deutschland. Genaue Zahl kann ich hier nicht angeben, da es nur absolute Zahlen der Spätaussiedler aus der ganzen Republik Polen allgemein zugänglich sind.

Nach der Volkszählung von 2011 leben in Polen – Tendenz abnehmend – 148 000 Deutsche, die meisten in Oberschlesien in den Woiwodschaften Oppeln und Kattowitz, wobei hier wiederum der überwiegende Teil wasserpolnischer Provenienz sein dürfte. Darüber hinaus kam nach der Wende von 1989 in Oberschlesien das Phänomen der schlesischen Volkszugehörigkeit auf. In der Volkszählung von 2011 erklärten sich in Oberschlesien, allen voran in der Woiwodschaft Kattowitz, 841 000 Menschen als Schlesier. Hier ist die Tendenz eher zunehmend. Es sind überwiegend Nachkommen der ehemaligen Aufständischen, die gemerkt haben, dass die 600 jährige Entwicklung außerhalb des polnischen Staates sie kulturell und mental mit diesem entzweit hatte. Ein anderer Grund wird wahrscheinlich sein die nicht immer korrekte Behandlung durch ihre polnischen Nächsten.

Zum Schluss noch einiges über die Oberschlesier, und zwar die Namhaften. Als erstes möchte ich hier einen Mann aus meiner Geburtsgegend nennen, und zwar den katholischen Pfarrer mit Doktortitel namens Johannes Dzierzon (1811-1906). Weltbekannt wurde er als Bienenzüchter, dem 1853 die Entdeckung der eingeschlechtlichen Fortpflanzung (Parthenogenese) bei Bienen gelang. Von ihm sind u.a. folgende Worte überliefert:

Meine Nationalität betreffend bin ich allerdings, was mein Name andeutet, ein Pole von Geburt, da in Oberschlesien Polnisch gesprochen wird. Da ich aber mit 10 Jahren nach Breslau kam, und dort meine Studien durchmachte, so bin ich von Erziehung ein Deutscher. Doch die Wissenschaft kennt keine Grenzen, keine Nationalität“.

 

Die Weisen auch nicht, lautet hierzu mein persönlicher Kommentar.

Übrigens: Die Polen zitieren nur den ersten Satz der obigen Äußerung. Über den Umstand, das die Nachkommen des Bruders von Pfarrer Dzierzon nach dem Krieg in Süddeutschland landeten, schweigen sie ebenfalls.

Sollte jemand von Ihnen, werte Zuhörer, ein Fan von Thomas Gottschalk sein, so hat er bestimmt vernommen, dass dieser sich zuweilen als Oberschlesier bezeichnet. Er ist aber schon in Westdeutschland geboren, als Kind von oberschlesischen Flüchtlingen. Auch die Eltern von Karl von Ossietzky kamen nach Hamburg aus Oberschlesien. Karl von Ossietzky hat im Kampf gegen den Nationalsozialismus den höchsten Preis bezahlt, es gebührt ihm dafür ewige Ehre. Die Fußballer Miroslav Klose und Lucas Podolski kennt jeder, die in Kattowitz geborene Hanna Schygulla vielleicht nicht jeder, aber doch viele, und die älteren unter uns erinnern sich doch sicherlich an den 1987 verstorbenen Zoologen Professor Bernhard Grzimek.

Vier Nobelpreisträger kamen aus Oberschlesien: Georg Bednorz, der, wie Gottschalk, schon in Westdeutschland geboren wurde, darüber hinaus Konrad Bloch und Otto Stern, die beide als Juden in die USA emigrierten und dort ihr Glück machten, ebenfalls wie Maria Göppert – Mayer, die als zweite Frau in der Geschichte den Nobelpreis bekam. Der vierte im Bunde war Kurt Alder.

Als nächstes möchte ich zwei Dichter erwähnen, die Oberschlesien ihre Heimat nennen durften. Der erste ist Joseph Freiherr von Eichendorf, dessen Vorfahren im 17. Jahrhundert, wie schon einige Jahrhunderte zuvor die heilige Hedwig, Patronin Schlesiens, aus Bayern nach Oberschlesien umgesiedelt waren. Als Kind lernte er Wasserpolnisch von den Bediensteten im Schloss seiner Eltern. Er wird als einer der bedeutendsten romantischen Dichter Deutschlands angesehen.

...“ und meine Seele spannte

breit ihre Flügel aus,

flog durch die stillen Lande

als flöge sie nach Haus...“

Max Herrmann – Neiße, der als Jude aus Deutschland fliehen musste, möchte ich ebenfalls erwähnen.

Bitter ist es, das Brot der Fremde zu essen,

bittrer noch das Gnadenbrot,

und dem Nächsten eine Last zu sein.

Meine bessren Jahre kann ich nicht vergessen;

doch nun sind sie tot,

und getrunken ist der letzte Wein.“

Darüber hinaus soll die Familie Nikolaus Kopernikus im Mannesstamm aus OS stammen.

Auf der polnischen Seite möchte ich den ehemaligen polnischen Premierminister Jerzy Buzek nennen, der allerdings im Teschener Schlesien geboren wurde, und zwar in seinem tschechischen Teil, und vielleicht noch den Schriftsteller Wilhelm Szewczyk, auf jeden Fall auch den kürzlich verstorbenen Filmregisseur Kazimierz Kutz.

Nun sind wir in der Gegenwart gelandet, werte Zuhörer.

Allerdings möchte ich auch den vorliegenden Text mit meinem persönlichen Schlachtruf „Nieder mit der politischen Korrektheit!“ beenden, ist sie doch nichts anderes, als eine Art sublimierter Heuchelei.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren.

Alfred Bartylla-Blanke

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Der Vortrag von Bartylla-Blanke zeigte ale 4 Nobelpreisträger aus Oberschlesien. Wir von der Redaktion geben hier eine Zusammenstellung aller Schlesischen Nobelpreisträgern. Polen, als viel größeres Land hat nur 7 Nobelpreisträger- Siehe Ewald Stefan Pollok - Polnische und Schlesische Nobelpreisträger (in Google)

Schlesische Nobelpreisträger

1. Paul Ehrlich (1854–1915), geboren in Strehlen (Strzelin), erhielt 1908 den Nobelpreis für Medizin.

2. Gerhart J.R. Hauptmann (1862–1946), Obersalzbrunn (Szczawno Zdrój), Literatur, 1912.

3. Fritz Haber (1868–1934), Breslau (Wrocław), Chemie, 1918.

4. Friedrich Bergius (1884–1949), Breslau (Wrocław), Chemie, 1931.

5. Max Born (1882–1970), Breslau (Wrocław), Physik, 1954.


6. Otto Stern (1888–1969), Sohrau (Żory), Physik, 1943.

7. Kurt Alder (1902–58), Königshütte (Królewska Huta Chorzów), Chemie, 1950.

8. Maria Göppert-Mayer (1906–72), Kattowitz, Physik, 1963.

9. Konrad E. Bloch (1912–2000), Neisse (Nysa), Medizin, 1964.

10. Georg Bednorz (16.5.1950) Neukirchen, Physiker

11. Hans Georg Dehmelt (9/09 / 1922-2017). Görlitz, Physiker

12. Reinhard Selten (1930), Breslau (Wrocław), Economics, 1994.

13. Günter Blobel (1936) Waltersdorf, Kreis Sprottau (Niegosławice bei Szprotawa), Medizin,