Wydanie/Ausgabe 131/04.04.2024

Die Feindstaatenklauseln in der Charta der Vereinten Nationen. Worum geht es bei den berühmt-berüchtigten Feindstaatenklauseln, wie sie in der Umgangssprache genannt werden, obwohl man besser von „Artikeln“ sprechen sollte. Welche Bedeutung haben sie für die Deutschfeindlichkeit? Zunächst seien die beiden Artikel aus der Charta der Vereinten Nationen hier im Wortlaut wiedergegeben.

1. Art. 53: 1. Der Sicherheitsrat nimmt gegebenenfalls diese regionalen Abmachungen oder Einrichtungen zur Durchführung von Zwangsmaß­nahmen unter seiner Autorität in Anspruch. Ohne Ermächtigung des Sicherheitsrats dürfen Zwangsmaßnahmen aufgrund regionaler Abma­chungen oder seitens regionaler Einrichtungen nicht ergriffen werden; ausgenommen sind Maßnahmen gegen einen Feindstaat im Sinne des Absatzes 2, soweit sie in Artikel 107 oder in regionalen, gegen die Wie­deraufnahme der Angriffspolitik eines solchen Staates gerichteten Ab­machungen vorgesehen sind; die Ausnahme gilt, bis der Organisation auf Ersuchen der beteiligten Regierungen die Aufgabe zugewiesen wird, neue Angriffe eines solchen Staates zu verhüten.

2. Der Ausdruck „Feindstaat“ in Abs. 1 bezeichnet jeden Staat, der wäh­rend des 2. Weltkrieges Feind eines Unterzeichners dieser Charta war. Art. 107: Maßnahmen, welche die hierfür verantwortlichen Regierungen als Folge des 2. Weltkrieges in Bezug auf einen Staat ergreifen oder genehmigen, der während dieses Krieges Feind eines Unterzeichner­staates dieser Charta war, werden durch dies Charta weder außer Kraft gesetzt noch untersagt.

In der DDR wurde seinerzeit von „antifaschistischen Klauseln“ gespro­chen. Die DDR vertrat die Auffassung, in keiner rechtlichen oder sons­tigen Kontinuität zum Deutschen Reich zu stehen. Deshalb betrachtete sie diese Klauseln als für sich bedeutungslos, nicht aber in Bezug auf die Bundesrepublik, die sich in einer rechtlichen Kontinuität zum Deut­schen Reich sah.

Hier wird der Zusammenhang von antideutscher und antifaschistischer Propaganda ganz deutlich. Die Feindstaatenartikel hatten eine doppel­te Funktion: Sie schufen ein Sonderrecht der Staaten der Anti-Hitler- Koalition gegen Deutschland und seine damaligen Verbündeten. Für alle Maßnahmen gegen diese „Feindstaaten“ waren die Vereinten Nati­onen nicht zuständig. Zum anderen wurde diesen „Feindstaaten“ das Recht verweigert, bei Streitigkeiten die Vereinten Nationen anzurufen. Es wird ihnen ein Status minderen Rechts in der internationalen Ge­meinschaft zugewiesen. Zwar erklärt Art. 103 der Uno-Charta den Vor­rang des Satzungsrechts gegenüber anderen Verträgen, den „Feind­staaten“ gegenüber errichten die Artikel 107 und 53 eine Ausnahme von diesem Prinzip. Eine Anmerkung zur Literatur:

Dietrich Frenzke, Jens Hacker, Alexander Uschakow: Die Feindstaa­tenartikel und das Problem des Gewaltverzichts der Sowjetunion im Vertrag vom 12.8.1970. Berlin 1971. Dieter Blumenwitz: Feindstaaten- klauseln. Die Friedenordnung der Sieger. München/Wien 1972. Wer­ner Trützschler von Falkenstein: Die sich ändernde Bedeutung der Feindstaatenartikel (Art. 53 und 107 der Satzung der Vereinten Natio­nen) für Deutschland. Bern und Frankfurt 1975. Walter Pflüger: Die Deutschland- und Berlin-Frage und die Feindstaatenartikel der UN- Charta. In: Gottfried Zieger (Hg.): Deutschland und die Vereinten Nati­onen. Köln 1981, S. 73-91. Monica H. Forbes: Feindstaatenklauseln, Vier-Mächte-Verantwortung und Deutsche Frage. Zur Fortgeltung der

Art. 53 und 107 der Satzung der UN. Baden-Baden 1983. Eine Ausar­beitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages: Überleitungsvertrag und „Feindstaatenklauseln“ im Lichte der völker­rechtlichen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. 2006. WD - 108/06 verdanke ich viele nützliche und wichtige Hinweise der Ent­wicklung seit 1990 bis ins 21. Jahrhundert. Strittig war bis 1990/91, wieweit der Begriff des „Feindstaates“ auszudehnen sei.

Neben Deutschland und Japan gehörten dazu Bulgarien, Finnland, Italien, Rumänien und Ungarn. Diese waren aber unterdessen in die Vereinten Nationen aufgenommen und waren Unterzeichner der Charta. Öster­reich und Korea wurden nach verbreiteter Meinung ausgenommen, da sie von Deutschland und Japan annektiert worden seien. Thailand galt nur nach britischer Auffassung als Feindstaat. Die Mehrzahl der Völ­kerrechtler vertrat im Laufe der Jahre die Auffassung, Staaten, die Mitglied der Vereinten Nationen seien und mit denen ein Friedensver­trag abgeschlossen wurde, seien nicht mehr unter die Feindstaaten im Sinne der Satzung der Vereinten Nationen zu rechnen. Auf diese Weise blieb lediglich Deutschland als Feindstaat übrig. Strittig war, ob Japan auch darunter zu rechnen sei. Es war zwar Mitglied der UNO, mit ihm hatten jedoch nur die Westmächte 1951 einen Friedensver­trag abgeschlossen. Aus dieser Übersicht folgt, daß seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Aufrechterhaltung der Feindstaaten- artikel sich ausschließlich gegen Deutschland richtete, worauf auch die Formel „antifaschistische Klauseln“ hinweist. Praktische Bedeu­tung gewann dies während der Berlin-Blockade, als die Sowjetunion die Auffassung vertrat, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sei nicht zuständig, da es sich bei den Maßnahmen der sowjetischen Re­gierung um Aktionen gegenüber einem Feindstaat handele, die vom Art. 107 gedeckt seien. Dem widersprachen die Westmächte nur inso­fern, als es sich bei der Blockade nicht um eine gegen Deutschland gerichtete Maßnahme, sondern um einen Konflikt zwischen der Sow­jetunion und den drei Westalliierten handele. Als 1951 eine Delegation der Vereinten Nationen in die DDR Einreise begehrte, um dort die Möglichkeit freier Wahlen zu erörtern, wurde der Delegation mit der Begründung die Einreise verweigert, die Vereinten Nationen seien für Deutschland nicht zuständig.

In einem am 21. November 1967 den Westmächten übergebenen Me­morandum berief sich die Sowjetunion darauf, daß die Feindstaaten- klauseln der Sowjetunion auch nach dem Austausch von Erklärungen über den Gewaltverzicht noch ein Interventionsrecht in inneren Angele­genheiten der Bundesrepublik gäben, (ausführliche Angaben in der oben zitierten Literatur von Hacker, Blumenwitz und Forbes. Auch Boris Meissner (Hg.): Moskau - Bonn, die Beziehungen zwischen der Sowje­tunion und der Bundesrepublik Deutschland 1955 -1973. Köln 1975, S. 769). Die drei westalliierten Regierungen wiesen die Moskauer Ansprü­che zurück. Nach ihrem Rechtsverständnis lasse sich aus den Feindstaatenartikeln kein einseitiges (!) Interventionsrecht der Sowjetunion herleiten. Damit betonten auch die westlichen Alliierten, daß ihrer Auf­fassung nach ein gemeinsames Vorgehen für möglich gehalten wurde, und daß die Feindstaatenartikel damals als geltendes Völkerrecht be­trachtet wurden.

Die praktische Bedeutung der Feindstaatenartikel ist gering gewesen. Keines der beiden Lager in Ost und West wäre zur Intervention im Deutschlandbereich der jeweils anderen Machtgruppe imstande gewe­sen, ohne die Gefahr eines Krieges heraufzubeschwören. Auch die Bundesregierung hat sicher aus diesem Grunde die Bedeutung der Ar­tikel stets heruntergespielt. Bedeutungslos sind sie aber nicht gewe­sen, da sie die Bundesrepublik zu einer engeren Anlehnung an die Westmächte veranlaßt haben, insbesondere wegen der Lage West- Berlins.

Von der Bundesregierung wurden die Feindstaatenklauseln stets als „obsolet“, also als zeitlich überholt, bezeichnet. Eine Streichung aus dem Wortlaut der UNO-Charta wurde oft versucht, ist aber stets unter­blieben. Sind sie also wirklich „obsolet“? Das ist eine Frage, die in der Gegenwart nicht überholt ist. Wenn sich die politischen Methoden und Umgangsformen der US-Präsidentschaft Trump durchsetzen, dann ist kein Vertrauen auf „obsolet“ angebracht. Die Reaktivierung der Klau­seln ist zwar nicht sicher, aber sie ist denkbar. Das „obsolet“ könnte als bloße, unverbindliche Redensart betrachtet werden.